Das Bundesministerium für Gesundheit hat einen Gesetzentwurf zum Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht ausreichend verfügbarer medizinischer Behandlung vorgelegt.
Dazu erklären der gesundheitspolitische Sprecher, Tino Sorge, und der Berichterstatter der Arbeitsgruppe Gesundheit für Menschen mit Behinderungen, Hubert Hüppe:
„Der vorgelegte Gesetzentwurf dokumentiert den Unwillen, den Auftrag der Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen.
Die im Entwurf enthaltenen Verfahrensvorgaben für Triagen wie Mehraugenprinzip, Facharzterfordernis und Dokumentationspflicht sollen den Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung mit potentieller Todesfolge bewirken. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften soll jedoch weder mit Strafe noch mit Bußgeld bedroht werden.
Es soll nach dem Willen des Ministeriums auch keine Meldepflicht für eine durchgeführte Triage geben. So erfährt keine Behörde automatisch von durchgeführten Triagen, und konsequenterweise kann auch keine obligatorische Kontrolle stattfinden. Ob überhaupt oder wie oft Triagen stattgefunden haben, und ob die Vorschriften eingehalten wurden, bleibt somit im unklaren.
Der Verzicht auf die Meldepflicht von Triagen steht im Kontrast zu Krankheiten wie HIV und COVID-19, die einer strengen Meldepflicht unterliegen, Verstöße können dort mit Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden.
Zur ethisch brisanten „ex-Post-Triage“, dem Entzug einer bereits zugeteilten überlebenswichtigen Behandlung zugunsten eines anderen Patienten mit besseren Erfolgsaussichten, schweigt das Ministerium völlig. Es lässt damit offen, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen eine ex-Post-Triage zulässig sein soll.
Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufe der Triage soll jedes Krankenhaus für sich festlegen, ohne dass Mindestanforderungen vorgegeben werden oder diese krankenhausspezifischen Regeln einer obligatorischen Kontrolle durch eine Behörde unterliegen.
Zudem will das Bundesministerium für Gesundheit die gesetzliche Regelung der Triage auf den Bereich Intensivmedizin während einer Pandemie begrenzen. So bleibt aber die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke für Menschen mit Behinderungen in allen anderen denkbaren Bereichen bestehen – etwa bei Naturkatastrophen, Reaktorunfall, Terroranschlag sowie bei der Zuteilung etwa von Impfungen oder Rettungswagen-Transporten.
Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten spezifischen Vorgaben für die Aus- und Weiterbildung, vor allem des intensivmedizinischen Personals zur Triage, enthält der Entwurf nicht. Vielmehr verweist er darauf, man wolle das Gespräch mit der Bundesärztekammer über Fort- und Weiterbildung suchen. Warum eine Verankerung entsprechender Ausbildung in der Approbationsordnung für Ärzte, immerhin einer Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums, nicht einmal erwogen wird, lässt man unbegründet.
Unerwähnt bleibt im Entwurf auch eine möglicherweise bestehende Absicht, über die Ministerpräsidentenkonferenz auf bundeseinheitliche Vorgaben im Landesrecht für die Weiterbildung in Medizin und Pflege, besonders des intensivmedizinischen Personals, hinzuwirken.
Der von Minister Karl Lauterbach verantwortete Entwurf zeigt, dass das Anliegen der Menschen mit Behinderungen, die in Karlsruhe erfolgreich geklagt hatten, nicht umgesetzt werden soll.“
Foto: René Golz